Kinesiologie & Lernen

Pädagogische Kinesiologie

„Ich übe und übe und trotzdem bringt es nichts – wenn ich dann die Arbeit schreiben soll, ist alles wie weg!“ Diese und ähnlich verzweifelte Äußerungen sind typisch für das Erstgespräch mit den Klienten einer kinesiologischen Praxis, die mit den Techniken der pädagogischen Kinesiologie arbeitet. Warum bewirken in vielen Fällen reines Üben, Wiederholen, Nachhilfe, Büffeln und Pauken und wohlgemeinte Ermahnungen wie „streng dich doch einfach mal mehr an!“ nicht nur nichts, sondern erreichen eher noch das Gegenteil, nämlich die Verfestigung der Lernblockade?

Dass immer mehr Kinder durch immer mehr Probleme in der Schule auffallen, ist allseits bekannt. 40 % aller Grundschüler haben bereits Konzentrationsstörungen, Lernschwierigkeiten, Legasthenie, Rechenschwäche, Hyperaktivität, ADS – Pädagogen und Eltern sind mit dieser Situation überfordert, nicht auf sie vorbereitet und durch die herumschwirrende Begrifflichkeit sehr verwirrt. Als eine Antwort darauf entwickelte der amerikanische Sonderpädagoge Dr. Paul Dennison bereits in den 70er Jahren die sogenannte Edu-Kinestetik auf der Grundlage der Angewandten Kinesiologie, der jeweils neuesten Gehirnforschung, der sensorischen Integration und Lerntheorie. Grundgedanke der Edu-Kinestetik ist die oft vergessene Tatsache, dass Lernen nicht nur im Kopf stattfindet, sondern auch mit dem Körper zu tun hat, dass Denk- und Bewegungsvorgänge eng miteinander verbunden sind.

Zum Beispiel: die Erklärung der eingangs geschilderten Situation gibt uns das Wissen über die physiologischen Auswirkungen von Stress und deren Zusammenhang mit dem Lernen.

In Streßsituationen schaltet unser Gehirn und unser ganzer Körper in eine Art Überlebensmodus um. Dieser Vorgang, der Teil unseres genetischen Erbes ist, bedeutet, dass die Stirnlappen, der Bereich des Gehirns, der für bewußtes, kreatives Nachdenken und Planen zuständig ist, nicht mehr ausreichend mit Energie versorgt werden und wir keine wohlüberlegten Entscheidungen mehr treffen können. Wenn es ums blanke Überleben geht, ist dies auch nicht mehr wichtig, da wir dann automatisch und reflexhaft reagieren müssen. Diese Reaktionsmuster sind die gleichen wie bei unseren ältesten Vorfahren. Damals bedeutete Stress fast immer Lebensgefahr, heute sind es jedoch keine wilden Bären mehr, die uns bedrohen, sondern z.B. „nur“ die Angst vor einer Klassenarbeit, dem Aufgerufenwerden oder einem Examen. Ergebnis ist das bekannte „Blackout“, die „Mattscheibe“ in Stress- und Prüfungssituationen. Ergo: Stress und Lernen gehen nicht zusammen!

Die ganzheitliche Antwort darauf sind u.a. gezielte einfache Übungen zum Stressabbau (Brain-Gym-Übungen), die noch in der aktuellen Situation ohne viel Aufwand durchzuführen sind. Es ist aber nicht nur situative Hilfe, die in einer kinesiologischen Praxis dem Klienten geboten wird, es geht in ebenso großem Maße auch darum, durch bestimmte kinesiologische Verfahren („Balancen“) die körperlichen Anteile des Lernens nachhaltig zu „stimmen“. Wenn beide Gehirnhälften, beide Augen, beide Ohren angemessen zusammenarbeiten, das Gleichgewicht, die Eigenwahrnehmung usw. etabliert sind, ist das Instrument des Lernens, der Körper, gut gestimmt.

Diese physischen Voraussetzungen können entweder durch fehlende bzw. nicht integrierte Entwicklungsschritte in frühester Kindheit gar nicht gegeben oder unter Stresseinfluß vorrübergehend blockiert sein. Hier setzt die Arbeit der Kinesiologie an. Eine der wesentlichsten Errungenschaften der Edu-Kinestetik ist, dass die fehlenden Entwicklungsschritte nachträglich aufgerichtet werden können – egal wie alt der Klient ist. Nach einer amerikanischen Pilotstudie sind die notwendigen physischen Vorrausetzungen zum Lernen bei 60% der neu Eingeschulten nicht gegeben. So wie niemand auf die Idee kommen würde, bei einem ungestimmten Klavier bessere Noten zu kaufen, einen teureren Klavierlehrer zu engagieren oder zu mehr Üben zu raten, sondern erst einmal das Klavier gestimmt werden sollte, müssen wir dafür Sorge tragen, daß die physischen Voraussetzungen zum Lernen gestimmt werden. Denn erst wenn der Körper, das Lern-Instrument, gestimmt ist, hat Üben und Pauken wieder seinen Sinn- und wir werden überrascht sein, dass dann weniger Üben sogar mehr bringt!

Wo ist die kinesiologische Hilfe in der Lernförderung einzuordnen? Ersetzt sie das Üben, ersetzt sie den Nachhilfeunterricht? Die pädagogische Kinesiologie ermöglicht, dass Üben und Nachhilfeunterricht zum Erfolg führen. Denn, wie schon erwähnt: ein einmal blockiertes System kann nicht mehr üben und trainieren, auch wenn das immer noch im Allgemeinbewusstsein sehr verankert ist und diese verhärtete und sehr veraltete Ansicht zu vielen Tränen und Verzweiflungen bei den Hausaufgaben führt. Es hat keinen Sinn zu üben, wenn das System blockiert ist – diese Erkenntnis kann nicht oft genug wiederholt werden. Das bezieht sich ebenso auf die zahlreich angebotenen Gehirntrainings, Gedächtnistrainings usw.

Ein wichtiges Sondierungsinstrument in der Arbeit des Kinesiologen ist der Muskeltest, eine Art körpereigenes Feedbacksystem. Mit ihm lassen sich Energieblockaden erkennen, die uns am leichten, stressfreien Lernen hindern. Ebenso weist der Muskeltest den Weg, diese Blockaden zielgerichtet zu lösen. Der Muskeltest ist besonders in der pädagogischen Kinesiologie so wertvoll, da er über das bloße Beobachten hinaus wertvolle Aufschlüsse gibt. So zeigt er z.B. auf, ob bestimmte Tätigkeiten wie Lesen, Zuhören, Schreiben, Gleichgewicht halten usw. wirklich integriert sind, was meint, dass alle Anteile stressfrei zusammengearbeitet haben, oder ob dieses Können durch eine kompensatorische Leistung entstanden ist. Insofern ist der kinesiologische Muskeltest ein wertvolles Instrument, um den dahinterliegenden Stress sichtbar zu machen. Wird dieser dann durch gezielte Techniken abgebaut, kann Lernen wieder stattfinden.

„Lernen“ wird dabei in der Edu-Kinestetik als ein Prozess betrachtet, der nicht auf Schule begrenzt ist, sondern uns das ganze Leben begleitet. „Lernen“ bedeutet „Wachsen“, und so lernen wir jeden Tag, wenn wir Neuem begegnen, uns im Prozess der Veränderung befinden oder mit Situationen anders umgehen wollen. So gesehen sind unsere Lern-Erfahrungen Lebens-Erfahrungen und unsere Lern-Probleme können leicht zu Lebens-Problemen werden.